Ich finde den Aufschrei völlig übertrieben. Hoffentlich werden Webseiten, Telefonate usw. von Sicherheitsdiensten überwacht. Natürlich ist es heikel, wenn eine Institution so weitreichende Kompetenzen (= Macht) hat. Das ist es immer. Aber da in diesem Fall die Freiheit nicht eingeschränkt, die Sicherheit aber erhöht wird, finde ich Kompetenzen zur Überwachung wichtig und richtig. Das Vertrauen liegt meiner Meinung nach heute oft beim falschen Ort...
das Problem mit der neuesten Order ist eben genau, dass es die Freiheit einschränkt und sehr wahrscheinlich grundlegenden Prinzipien der US Rechtsordnung widerspricht (Due process clause).
Das Dokument zeigt, dass unter der Obama-Regierung zum ersten Mal die Kommunikationsdatensätze von Millionen von US-Bürgern, wahllos und in großen Mengen gesammelt werden - unabhängig von jeglichem vermutetem Fehlverhalten. Das ist ein Bruch mit der Due Process Klausel der Verfassung, ohne dass der legislative Prozess einer Verfassungsänderung durchlaufen wurde.
Anordnungen unter dem Foreign Intelligence Surveillance Act befehlen die Produktion von Aufzeichnungen in Bezug auf ein bestimmtes benanntes Ziel oder einer endlichen Menge von namentlich genannten Zielen, die als Agent in einer terroristischen Vereinigung oder ausländischen Staates vermutet werden. Die neueste order ist genau genommen ausserhalb des rechtlichen Rahmens jenes Gesetzes.
Die Sammlung jener Daten ermöglicht es der NSA, leicht ein umfassendes Bild über jeden einzelne Kontakt, wie, wann und möglicherweise wo dieser entstand, von sämtlichen US Bürgern und Niedergelassenen, und das rückwirkend. Dies ist nicht Aufgabenbereich der NSA und unter amerikanischem Gesetz nicht erlaubt, da Überwachung nur bei begründetem Verdacht und für bestimmte vermutete Straftatbestände erlaubt ist.
Dieser neueste Coup folgte auf NDAA 2012, welcher dem Präsidenten und allen künftigen Präsidenten das Recht gibt, direkt anzuordnen, dass das Militär überall auf der Welt (also auch auf US Territorium selber, und auch inklusive amerikanischer Bürger) Verdächtige abholt und auf unbestimmte Zeit militärisch inhaftiert, ohne Anklage oder Gerichtsverfahren. Ein absolutes Novum in der amerikanischen Geschichte.
Was die Obama Administration hier versucht, ist nicht weniger als grundlegende Prinzipien der Gewaltenteilung und Kompetenzen der Legislative auszuhebeln. In der Tragweite viel grösser als der Watergate Skandal, der Nixon das Amt kostete.
Der Aufschrei ist in diesem Kontext eigentlich noch viel zu wenig laut und es ist dazu dann wieder symptomatisch, dass in den Schweizer Medien dieser staatsrechtliche Gesamtzusammenhang nicht berichtet wurde und dass nach der neuesten Rede Obamas zum Thema das ganze ohne weiteres Hinterfragen abgeklungen ist.
Was ich insofern verstehe, ist, dass dazu auf die amerikanische Rechtsordnung an sich eingegangen werden müsste und diese im Gegensatz zur schweizerischen von der Prämisse der Limitierung der Staatsmacht auf genau definierte Kompetenzen und Spielregeln ausgeht. Die Frage dahinter dann selbstredend über den schwachen Staat versus den starken Staat – genau die Frage, die sich viele Schweizer stellen und ob der Schweizerische Staatsapparat nicht doch zu sehr in die Richtung des starken Staates geht.
Dass der Gesamtkontext des Skandals eigentlich in der Schweizer Berichterstattung unterschlagen wurde, ist ein weiteres Indiz dafür, das bewusst von den wesentlichen Fragen, die die Schweizer Bürger beschäftigen sollten, abgelenkt wird. Nämlich, dass die Angst, die Terrorismus umgibt, missbraucht wird, um die freiheitlichen liberalen Rechte des Bürger zu dekonstruieren und die Bürger dies sogar kritiklos abnicken.
Dass massive und breitgefächerte Überwachung wenig bringt, haben wir ja in Boston gesehen, wo die Täter seit Jahren auf dem Radar solcher Behörden waren, ohne dass eine konkrete Überwachung nach bestehenden Gesetzen angeordnet wurde. Dass der Präsident nun behauptet, die Publizierung jener Order sei unverantwortlich, weil sie der nationalen Sicherheit schade, ist geradezu zynisch. Ihm geht es um die Erweiterung der präsidialen und exekutiven Macht und der Schwächung demokratischer Rechtsfindung.